Freitag, 7. Oktober 2016

Regentropfen, die an dein Fenster klopfen... - Die Heimfahrt.

+++01.06.2016+++


Als mein Wecker mich aus den Träumen reißt, ist es stockdunkel im Zimmer. Es ist nichts zu hören. Ich brauche einen Moment, um zu realisieren, daß die Dunkelheit vom herabgelassenen Rolladen rührt. Den hatte ich gestern abend, schon im Bett liegend, runtergelassen, um die feiernden Nachbarn und die Mücken auszublenden. Als ich ihn hochziehe, wird es nur wenig heller. Es sieht etwas bleiern aus. Aber es ist noch trocken. Auch in der Nacht hat es nicht geregnet. Aber das wird nicht so bleiben. Dafür muss ich keine Prophetin sein.
Ich springe ins Bad und in meine Klamotten, klappe die Koffer zu, setze den Duftspender über der Zimmertür wieder in Funktion und verschwinde zum Frühstück. 
Das Frühstück ist gut, ich sitze fast bis zum Schluß alleine im Frühstücksraum und die Musik ist dezent im Hintergrund. So könnte es bleiben. Aber ich muss los. Also bezahle ich mein Zimmer, hole meine Jacke und fahre Gesa an den hinteren Eingang. Die Koffer angeklipst, den Tankrucksack festgeschnallt, Helm auf und Adios. 
Als ich nach Einbeck hineinrolle, fallen die ersten Tropfen. Noch sind es nicht viele, eher lustlos. Ich werde aber sehr gut daran tun, meine Regenkombi mit hinein zu nehmen. Das merke ich schon, als ich auf den Eingang zusteuere. Der Himmel öffnet seine Schleusen. Ich bezahle meinen Eintritt und muss ein paar Schritte über den Hof springen, dann habe ich das erste Etappenziel erreicht: Den "PS. Speicher Einbeck". Das ist ein ehemaliger Getreidespeicher, in dem sich heute ein Motorrad und Auto Museum befindet. Das steht schon eine Weile auf meiner Liste. 
Nachdem ich meine Jacke, Tankrucksack, Helm und die Regenkombi in einem Spind verstaut habe, muss ich erst einmal sechs Treppen nach oben steigen, um dort den Einstieg zu finden. Ich könnte natürlich auch mit einem Aufzug mich bequem nach oben befördern lassen, aber der ist gerade von einer Reisegruppe belegt. Und ich fahre nicht so gerne mit vollen Aufzügen. 
Ich werde mich bei meinem Rundgang Stockwerk um Stockwerk nach unten arbeiten und dabei die verschiedenen Epochen bis zur Jetztzeit bereisen. 
Am Anfang war das Rad. Und zwar das Laufrad des Freiherrn von Drais- ich sehe den Daimler Reitwagen, freilich auch nur als Nachbau, und gleite weiter durch die Zeit. 

Es war alles schon mal irgendwie da gewesen...


Opel

Das haben wir doch auch schon mal gesehen?






Zwei Seltenheiten. Fuldamobil und Kleinschnittger


Die ungleichen Brüder. West und Ost.


Handtaschenharley

Wer hat so etwas schon mal gesehen?

So einen Thonet Stuhl hatte meine Großmutter auch...


Friedlich vereint.

Nicht nur Nähmaschinen und Fahrräder.



Zwo - vier - sechs... Benelli.
Die Jahrzehnte ziehen an mir vorbei. Am Schluß lande ich in einer Art Zeittunnel, der in die Zukunft führt. Meine Zukunft sieht im Moment wenig rosig aus. Schon aus den Fenstern habe ich zwischendurch immer wieder sehen müssen, daß es sich richtig eingeregnet hat und der Wetterbericht sich auf unangenehme Art und Weise erfüllt. 
Auf Video scheint immer die Sonne.
Mir bleibt nur die Regenkombi. Ich verpacke mich also sorgfältig, setze den Helm auf, ziehe die Handschuhe an und stapfe durch die offen stehende Notausgangstür ins Freie. Ein wenig fühle ich mich an die Bilder der Astronauten, die zum Mond geflogen sind, erinnert, wenn sie in ihren Raumanzügen zur Startrampe marschiert sind. Mein Start jedoch wird gleich wesentlich weniger raketenmäßig sein. Ich schnalle den Tankrucksack fest, schwinge mein Bein über die Koffer und die Sitzbank und starte Gesa. Wir rollen im starken Regen vom Parkplatz und verlassen Einbeck. Vor mir tuckert ein schwarzer VW Polo herum, aber ich habe keine Lust, ihn zu überholen. Außerdem kommt immer was von vorne und es gibt Abzweigungen. 
Mein Weg führt mich in Richtung Sievershausen. Sievershausen? Genau, in einem Sievershausen bin ich im letzten Jahr schon mal gewesen. Allerdings in einem anderen, das auch hier in der Nähe liegt. Nun bin ich aber auf der anderen Seite von Einbeck und habe das "richtige" Sievershausen vor mir. Zumindest, was die Suche nach meinen Vorfahren anbelangt. Hier sind meine Vorfahren beheimatet gewesen, bevor sie sich nach Schleswig Holstein aufmachten und dort durch glückliche Fügung in den Besitz einiger Güter gelangten. Wenn ich mir die bloße Zahl dieser Ländereien ansehe, dann muss diese Fügung schon sehr sehr glücklich gewesen sein. Allerdings, wie das Leben so spielt, heute gehört der Familie von alldem überhaupt nichts mehr. 
Ich komme nach Sievershausen hinein, habe aber wegen des Wetters keine sonderliche Lust, auf Erkundungstour zu gehen. Es schüttet immer noch wie aus Eimern und ich drehe lediglich eine kleine Runde und verschwinde dann auch fast haltlos wieder. 
Ich habe mir eine schöne kleine Landstraße herausgesucht, die bei schönem Wetter sicher ganz wunderbar ist. Schon wegen ihrer Besonderheit. Irgendwann endet nämlich der Asphalt und man fährt auf einem Schotterweg durch den Wald. 
Wenn ich nicht die Schilder gesehen hätte, ich würde glauben, mich auf einem Forstweg zu befinden. Nach ein paar Kilometern, die ich äußerst vorsichtig gefahren bin, mündet sie wieder in eine ganz normale Straße.
Über den Solling komme ich nach Uslar. Hier versperrt mir eine Baustelle den geplanten Weg. Nach der Umleitung allerdings sitze ich etwas fest. Ich kann meine Straße nicht finden. In dem Dorf ist nichts ausgeschildert, die vorhandenen Straßen führen scheinbar alle nur in Sackgassen und meine Karte zeigt auch keinen Ausweg. Ich entscheide mich also, ein Stück wieder zurück zu fahren und den bekanntesten Ortsnamen in der Gegend anzusteuern. Das ist Bad Karlshafen. Ich bräuchte auch langsam mal eine Tankstelle und etwas trockenes, wo ich meine Karte umdrehen kann. Allerdings suche ich mir den denkbar blödesten Weg dafür. Auch hierfür gilt: Bei schönem Wetter und mit vollem Tank - kein Ding. Dann ist er schön. Aber so... Ich lande schließlich auf einer winzigen Straße, die sich malerisch von hinten nach Bad Karlshafen hineinschlängelt. Wenn es trocken wäre, ich könnte das jetzt genießen. Ist es aber nicht, tu ich also nicht. 
Ich fahre einmal von längs nach quer duch den Kurort und bin bereits dabei zu zweifeln, daß es eine Tankstelle geben könnte, da sehe ich doch noch ein Schild am Straßenrand. Zwar keine Aral, aber wenigstens Benzin. Gesa ist ohnehin schon mucksch wegen des Wetters. 
Mit klammen Fingern popele ich den Tankdeckel auf und halte den Rüssel hinein. Gurgelnd und sprudelnd verschwindet der Saft in Gesas Tank. Immer noch triefend nass (und immer noch ohne Plastikseetang) quatsche ich zum Kassenhäuschen. Das macht zunächst einen etwas geschlossenen Eindruck, aber eine Frau öffnet freundlich die Tür. Als ich noch ein Mars kaufen möchte, sieht sie, daß der Riegel schon kurz vor seinem Datum ist und meint, "nehmen Sie denn man so!". Dankeschön! 
Ich falte meine Landkarte neu, suche mir meinen Weg für die Weiterfahrt und verlasse die trockene Insel. 
In der Zwischenzeit spüre ich an meinem Südpol schon eine feuchte Stelle. Die Handschuhe sind bereits durch und ich habe den Eindruck, daß auch die Stiefel nicht mehr lange das Wasser abhalten werden. 
Aber es nützt nichts. Ich verlasse Bad Karlshafen in Richtung Trendelburg. Daß ich das natürlich nicht ohne Baustellenumleitung erreiche, versteht sich von selbst. Im Ort verpasse ich beinahe meine Abfahrt, da das Schild so entsetzlich dämlich angebracht ist, daß es von Ortsfremden praktisch nicht gesehen werden kann. Das Dumme ist nur, daß ich auch schon etwas zu weit bin und mich wegen der engen Straße zurückrollen lassen muss. Just in diesem Augenblick ereignet sich ein Flashmob der lokalen Autofahrer an dieser Stelle. Aus allen Richtungen kommen sie an und ich habe meine Not, ihnen klar zu machen, was ich will. Bis sich dieser Knoten aufgelöst hat, dauert es ein wenig. 
Hinter Trendelburg fahre ich auf eine kleinere Landstraße und komme gut voran. Hier ist kaum jemand unterwegs und so kann ich einfach meinen Stremel fahren. Ich lasse die A44 hinter mir und komme irgendwann nach Wolfhagen. In einem der Dörfer muss ich meine Karte erneut sortieren und halte an einer Bushaltestelle mit einem Wartehäuschen. 
Wie ich gerade denke "bestimmt kommen gleich drei Busse", geht es auch schon los. Ich kann gerade noch meinen Tankrucksack wieder festschnallen und mich auf Gesa schwingen, denn von hinten rollen sie schon an. Es sind tatsächlich drei Busse, die aus verschiedenen Straßen herausgefahren kommen, um sich hier an dieser Bushaltestelle mitten im Nichts zu treffen. Leicht verwundert über meine hellseherischen Kräfte drehe ich am Gasgriff und sehe zu, daß ich dem Szenario entkomme. 
Ich gelange bald auf eine Bundesstraße, die mich nach Fritzlar bringt. In Fritzlar hatte ich mal übernachten wollen, als ich mit dem Käfer von Hamburg kam, aber da war die ganze Stadt dunkel und ich habe nichts gefunden, so daß ich weiterfahren musste. Auch heute laden die Rahmenbedingungen nicht dazu ein, die Stadt eingehender zu untersuchen und so fahre ich einfach daran vorbei. 
Kurz vor Bad Zwesten komme ich wieder auf die B3, auf der ich gestern ja schon ein Stück gefahren bin. Dieser Abschnitt der B3 ist immer stark befahren und es quälen sich haufenweise LKW hier entlang, die hier von der A49 abgeleitet werden. Die Ortschaften versuchen sich mit Blitzern zu wehren, aber schöner werden sie durch den brandenden Verkehr nicht. Ich zuckele brav hinter einer Reihe LKW entlang und hoffe so langsam, daß ich bald zu Hause bin. In der Zwischenzeit hat sich der Wassereinbruch im Keller bestätigt und auch der rechte Fuß steht mittlerweile im Wasser. Auch fühlen sich meine Arme kalt und feucht an. Die Hände sind Eisklumpen und im Helm ist eben auch schon ein Rinnsal innen die Scheibe heruntergekrochen. Ich spule nur noch Kilometer ab. Bei einer Hochzeitsgesellschaft am Wegesrand winke ich zwar, aber im Grunde bestimmt nur der Gedanke "Ich will ankommen!" mein Denken. 
Es schüttet immer noch ohne Unterlass und ich fahre sturheil an Marburg vorbei und halte auf Gießen zu. Hier habe ich spontanes Glück bei meiner Spurwahl in der Baustelle. Ich komme gut vorwärts und kann ohne zu stoppen weiterfahren, während es auf der Nebenfahrbahn arg stagniert. Uns trennt die Mittelleitplanke und so bin ich vor Ausbrechern sicher.
Ich biege für ein kurzes Stück auf die A45 ab und verlasse sie an der nächsten Abfahrt wieder. Meine Karte hat schon lange wieder aufgehört und so zackere ich mich ohne sie durch die Gegend und halte mich nur an die Beschilderung.
In Usingen hätte ich eigentlich auf eine Bundesstrasse gesollt, aber egal, diese Straße führt auch in Richtung Idstein, wengleich sie ein wenig geschwungener ist und ich langsamer vorankomme. Auch hier gilt wieder: Bei trockener Witterung wäre das eine wunderbare Strecke. Jetzt, naß, kalt und eklig, ist sie nicht halb so schön.
Hinter Idstein habe ich keine Lust, mich durch die Dörfer und über die Platte nach Wiesbaden zu schlängeln. Ich fahre auf die A3 und folge ihr im dichten Gischtnebel der LKW bis Niedernhausen. Von hier bin ich in ein paar Minuten in Wiesbaden und von dort geht es auf der Autobahn über die Weisenauer Brücke nach Mainz. Mich durch Amöneburg und quer durch die Stadt zu quälen, habe ich keine Lust. Ich will nur noch unter die heiße Dusche und nehme den kürzesten Weg mit dem geringsten Widerstand. 
Zu Hause stelle ich die Koffer vor die Haustür, fahre Gesa in die Garage und verschwinde schleunigst in der trockenen Wohnung. Tür zu. Aus. 
Es ist alles naß. Die Jacke ist an den Ärmeln durch und durch nass, die Hose am Hintern und an den Unterschenkeln, die Füße sind naß und meine Hände sehen aus, wie die von meiner Omi.
Mir ist kalt und bäh. Ich glaube, die Erkältung hat sich vor Schreck verzogen. Von ihr merke ich praktisch gar nichts mehr.
Ich bin heilfroh, daß mich dieser Regen erst auf der letzten Etappe erreicht hat. Denn meine Jacke und meine Hose hätte ich unterwegs nie und nimmer wieder bis zum nächsten Tag trocken bekommen. Auch zu Hause dauert es ein paar Tage, bis sich Hose und Jacke wieder komplett trocken anfühlen. 

390km - und nur die ersten fünf waren trocken. Ich habe rund sieben Stunden gebraucht, um mich heil und ganz nach Hause zu bringen.

9 Kommentare:

  1. Das hättest du mir ja schon erzählt, aber die Strecke zu sehen.... Iihhh. Ja, da kann ich mir vorstellen, das du völlig durchgefroren warst. Ich mag so lange Regenfahrten auch nicht, nur manchmal lassen Sie sich nicht vermeiden. :(

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Wobei das Museum wirklich spannend aussieht. So viel Geschichte. Hmm, ich sollte mal wieder in ein Museum gehen.

      Löschen
    2. Das stimmt, das ließ sich nicht vermeiden. Ich musste den Tag schließlich wieder nach Hause zurück. Was echt blöde war, war daß ich mit der Karte ein klein wenig aufgeschmissen war. Die im Regen nämlich umzudrehen, kann man gleich vergessen. So kommt ein gewisser Prozentsatz "Blindflug" auch noch mit dazu.

      Das Museum ist echt toll, in der Zwischenzeit ist es auch noch um eine Nutzfahrzeugabteilung ergänzt worden. Das finde ich auch superspannend, da muss ich auch unbedingt hin.

      Löschen
  2. Das PS Museum steht schon lange auf meiner Liste. Die Regenfahrt hätte echt nicht sein müssen ... krasse Hand, stimme ich dir zu!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Das sollte von Dir aus auch in einer gemütlichen Tagestour zu erreichen sein. Ich war ja im letzten Jahr auch in der Gegend schon mal gewesen und das war recht entspannt gewesen.
      Daß der Regen auch gerne noch einen Tag hätte warten können, finde ich auch. Dann wäre ich trocken zu Hause angekommen und es hätte viel nettere Bilder gegeben.

      Löschen
  3. Iiiih, das kenne ich zu Genüge. In nassen Klamotten daheim ankommen. Eines der fiesesten Erlebnisse des Motorradfahrens überhaupt. Aber es gibt auch Regenanzüge, die wirklich dicht sind. Und an den Füßen sind Plastiktüten, die mit Gummibänder oben zusammengehalten werden, immer noch unübertroffen Nur für die Hände gibt es kein Pardon. Die kann man durch nichts schützen und müssen da durch.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Diesen wirklich dichten Regenanzug habe ich allerdings noch nicht gefunden. Jemand von Parts Europe legte mir neulich einen Anzug von Icon ans Herz, aber das ist ein kompletter Motorradanzug. Meine beiden Überziehpellen haben sich beide als nicht dicht erwiesen. In die eine lief nach zwanzig Minuten schon Wasser rein und in die andere nach einer guten Stunde jetzt. Mit der habe ich allerdings aber auch schon eine längere trockene Fahrt hinbekommen, damals am Rhein entlang. Da hat es auch nur geregnet und ich war am Ende trocken geblieben.
      Für die Hände hat Svenja Melkerhandschuhe gefunden. Die sollen ganz gut funktionieren. Nur, ob man die solo anzieht, oder über nie normalen drüber, das habe ich noch nicht herausgefunden.

      Ich bin nur froh, daß mich das auf der letzten Etappe erwischt hat.

      Löschen
  4. Gegen den Regen gibt es nur eins: VIEL SONNENSCHEIN und Wärme im Anschluss.
    LG und ein schönes WO.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Oh ja, Sonnenschein! Davon hatten wir, finde ich, diesen Sommer ein bisschen wenig gehabt.

      Dankeschön! Ich hoffe, Du hattest auch ein gutes Wochenende!

      Löschen